29. Oktober 2025

    Bluthochdruck und Hypotonie

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    Orthostase-Test (auch Schellong-Test oder Kipptischuntersuchung)

    Hierbei handelt es sich um ein zentrales diagnostisches Verfahren zur Beurteilung der Kreislaufregulation beim Lagewechsel.
    Er dient dazu, eine orthostatische Hypotonie – also einen abnormen Blutdruckabfall beim Aufstehen – nachzuweisen oder auszuschließen.


    1. Ziel und Bedeutung

    Der Test prüft die Fähigkeit des kardiovaskulären Systems, den Blutdruck beim Übergang vom Liegen in den Stand konstant zu halten.

    Bei gesunden Personen führen kompensatorische Mechanismen (Barorezeptorenreflex, Sympathikusaktivierung) dazu, dass der Blutdruck nur geringfügig abfällt oder sich rasch stabilisiert.

    Bei orthostatischer Hypotonie versagt diese Kompensation, wodurch es zu symptomatischen Blutdruckabfällen kommt.


    2. Indikationen

    • Verdacht auf orthostatische Dysregulation
    • Synkopen unklarer Genese
    • Schwindel, Schwäche, Schwarzwerden vor den Augen beim Aufstehen
    • Kontrolle der Kreislaufregulation bei autonomen Funktionsstörungen (z. B. Parkinson, diabetische Neuropathie)
    • Medikamentenprüfung (z. B. Antihypertensiva, Psychopharmaka)

    3. Voraussetzungen

    • Ruhige Umgebung, angenehme Raumtemperatur
    • Test am Vormittag (nach leichtem Frühstück)
    • Keine Koffeinaufnahme, Nikotin oder schwere Mahlzeiten unmittelbar zuvor
    • Patient sollte 10 – 15 Minuten vor Beginn in Ruhelage verweilen

    4. Durchführung

    A. Schellong-Test (klassisch, manuell)

    1. Ruhephase (Liegen):
      • Patient liegt 10 Minuten ruhig.
      • Blutdruck und Puls werden mehrfach im Abstand von 1–2 Minuten gemessen.
      • Mittelwert = Ausgangswert.
    2. Stehphase:
      • Patient steht zügig auf und bleibt 10 Minuten stehen (ohne Bewegung oder Muskelanspannung).
      • Blutdruck und Puls werden nach 1, 3, 5, 10 Minuten gemessen.
      • Beobachtung auf Symptome (Schwindel, Blässe, Schwäche, Synkope).

    B. Kipptisch-Test (Tilt-Table-Test)

    • Besonders geeignet für schwer symptomatische oder immobilisierte Patienten.
    • Patient wird auf einer motorisierten Liege in definierter Weise von der Horizontalen (0°) in eine aufrechte Position (60–70°) gebracht.
    • Kontinuierliche Messung von Blutdruck, Puls und EKG.
    • Test kann ggf. mit pharmakologischer Provokation (Nitroglyzerin, Isoproterenol) ergänzt werden.

    5. Beurteilung der Messergebnisse

    ParameterNormalreaktionPathologische Reaktion (orthostatische Hypotonie)
    Systolischer Blutdruck< 20 mmHg Abfall≥ 20 mmHg Abfall oder unter 90 mmHg
    Diastolischer Blutdruck< 10 mmHg Abfall≥ 10 mmHg Abfall
    Pulsfrequenz+ 10 – 20 / min AnstiegGeringer oder fehlender Anstieg → Hinweis auf autonome Störung
    SymptomeKeineSchwindel, Schwarzwerden, Synkope

    Eine orthostatische Hypotonie liegt also vor, wenn der systolische Blutdruck um ≥ 20 mmHg oder der diastolische um ≥ 10 mmHg beim Aufstehen abfällt, innerhalb von 3 Minuten nach Lagewechsel, verbunden mit Symptomen.


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    6. Interpretation

    Normale Reaktion:

    • Minimaler Blutdruckabfall, schneller Ausgleich durch Sympathikusaktivierung.
    • Puls steigt leicht an (10–20 bpm).

    Pathologische Reaktionen:

    1. Klassische orthostatische Hypotonie:
      • Blutdruck fällt deutlich, Puls steigt nur gering → Zeichen vegetativer Dysfunktion.
    2. Posturale Tachykardiesyndrom (POTS):
      • Pulsanstieg > 30 bpm ohne relevanten Blutdruckabfall → Zeichen übersteigerter Herzfrequenzreaktion.
    3. Vasovagale Synkope:
      • Nach initial normaler Anpassung plötzlicher Blutdruck- und Pulsabfall → reflektorische Vasodilatation/Bradykardie.

    7. Ursachen einer pathologischen Orthostase-Reaktion

    • Volumenmangel: Dehydratation, Blutverlust, Diuretika
    • Medikamente: Antihypertensiva, Psychopharmaka, Nitrate
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Herzinsuffizienz, Arrhythmien
    • Endokrine Ursachen: Nebenniereninsuffizienz, Hypothyreose
    • Neurologische / autonome Störungen: Parkinson-Syndrom, diabetische Neuropathie

    8. Klinische Bedeutung

    • Der Schellong- bzw. Kipptisch-Test ist diagnostisch wegweisend bei Schwindel- und Synkopenabklärung.
    • Er liefert wichtige Hinweise auf:
      • Vegetative Funktionsstörungen
      • Volumenregulationsstörungen
      • Herz-Kreislauf-Komorbiditäten
    • In geriatrischen und neurologischen Populationen dient er der Sturzprävention und Therapieüberwachung.

    9. Dokumentation

    Eine typische Dokumentation enthält:

    • Ausgangs- und Folgemessungen von Blutdruck und Puls
    • Auftretende Symptome (Zeitpunkt, Art, Dauer)
    • Interpretation (normal / pathologisch)
    • ggf. Hinweise auf Schwindel, Übelkeit oder Synkope

    10. Beispiel (vereinfachte Auswertung)

    ZeitpunktRR (mmHg)Puls (/min)Bewertung
    Liegen (0 min)115/7072Ausgangswert
    Stehen (1 min)100/6585leichter Abfall
    Stehen (3 min)85/6088pathologisch – Hypotonie
    SymptomeSchwindel, Schwarzwerden→ Positiver Schellong-Test

    11. Schlussfolgerung

    Der Orthostase-Test ist ein einfaches, aber hoch aussagekräftiges Verfahren, um Störungen der Blutdruckregulation zu erkennen.
    Er dient sowohl der Differenzialdiagnose von Synkopen als auch der Bewertung vegetativer Funktionsstörungen.


    12. Literatur und Leitlinien

    • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK): Leitlinie Synkope (aktualisierte Fassung 2023)
    • Deutsche Hochdruckliga e. V.: Diagnostik und Therapie der Hypotonie
    • Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 268. Auflage
    • ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope (European Heart Journal, 2022)

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    erstellt mit KI