Die Hypotonie
Eine Blutdruckerniedrigung unter 100 mg Hg (systolischer Wert) wird als Hypotonie bezeichnet. Sie hat oft keine Krankheits-Bedeutung und wird erst dann problematisch, wenn sie Symptome auslöst.
1. Definition
- Hypotonie = abnorm niedriger arterieller Blutdruck
- Grenzwerte:
- Frauen: systolisch < 100 mmHg
- Männer: systolisch < 110 mmHg
- Diastolisch meist < 60 mmHg
- Wichtig: niedriger Blutdruck ist nicht automatisch pathologisch, aber symptomatisch relevant, wenn Beschwerden oder Durchblutungsstörungen auftreten.
2. Physiologische Grundlagen des Blutdrucks
- Blutdruck = Herzzeitvolumen × peripherer Widerstand
- Regulation über:
- Barorezeptorenreflex (Druckrezeptoren im Karotissinus und Aortenbogen)
- Sympathikus / Parasympathikus
- Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)
- Flüssigkeitsvolumen und Gefäßtonus
→ Eine Störung in einem dieser Systeme kann Hypotonie verursachen.
3. Klassifikation
| Form | Beschreibung | Beispiele |
|---|---|---|
| Primäre (essenzielle) Hypotonie | Konstitutionell, ohne erkennbare Ursache | Häufig bei jungen, schlanken Frauen |
| Sekundäre Hypotonie | Folge einer Grunderkrankung oder Medikation | Herzinsuffizienz, endokrine Störungen, Blutverlust, Medikamente |
| Orthostatische Hypotonie | Blutdruckabfall beim Lagewechsel | Nach längerem Liegen, Flüssigkeitsmangel, vegetative Dysregulation |
| Neuronal vermittelte (vasovagale) Hypotonie | Reflektorische Kreislaufreaktion | Schmerz, Angst, emotionaler Stress |
4. Pathophysiologie
- Primäre Hypotonie:
Verminderte sympathische Aktivität oder Gefäßtonus → peripherer Widerstand ↓ - Orthostatische Dysregulation:
Unzureichende sympathikotone Gegenregulation beim Aufstehen → Blut versackt in den Beinen - Sekundäre Hypotonie:
- Herzminutenvolumen ↓ (Herzinsuffizienz, Rhythmusstörung)
- Gefäßtonus ↓ (Medikamente, vegetative Störungen)
- Blutvolumen ↓ (Dehydratation, Blutverlust)
5. Symptomatik
| Organsystem | Symptome |
|---|---|
| Zentralnervös | Schwindel, Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Synkope |
| Kardiovaskulär | Herzklopfen, Tachykardie (kompensatorisch), kalte Extremitäten |
| Allgemein | Müdigkeit, Blässe, Schwäche, Ohrensausen |
| Gastrointestinal | Übelkeit, Appetitlosigkeit |
| Psychisch | Reizbarkeit, depressive Verstimmung |
Besonders typisch:
Schwindel oder Schwarzwerden vor Augen beim schnellen Aufstehen.
6. Diagnostik
- Anamnese:
- Art, Häufigkeit und Auslöser der Symptome
- Medikamentenanamnese
- Begleiterkrankungen (Herz, Hormone, Blutverluste)
- Klinische Untersuchung:
- Blutdruck in Ruhe und nach Lagewechsel
- Puls, Hautfarbe, Temperatur
- Apparative Diagnostik:
- Schellong-Test / Kipptischuntersuchung
- EKG / Echokardiographie
- Labor: Hb, Elektrolyte, TSH, Cortisol
7. Klinische Bedeutung
- Primäre Hypotonie:
Meist harmlos, kann aber Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Gilt als protektiv gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. - Sekundäre Hypotonie:
Kann Symptom einer ernsten Grunderkrankung sein (z. B. Schock, Herzversagen, endokrine Insuffizienz). - Orthostatische Hypotonie im Alter:
Erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko, relevante Ursache für Synkopen.
8. Therapie
Nichtmedikamentös (Basismaßnahmen):
- Ausreichend Flüssigkeit (2–2,5 l/Tag)
- Salzreichere Kost (nach Rücksprache mit Arzt)
- Körperliches Training, Kreislaufgymnastik
- Wechselduschen, Abhärtung
- Kompressionsstrümpfe
- Langsames Aufstehen, Beine kreuzen bei Schwindel
Medikamentös (nur bei schwerer Symptomatik):
- Fludrocortison (Volumenaufbau durch Natriumretention)
- Midodrin (peripherer α1-Agonist, Gefäßkonstriktion)
- Etilefrin (Sympathomimetikum)
→ Nur unter ärztlicher Kontrolle, da Risiko für Hypertonie besteht.
9. Prognose
- Primäre Hypotonie: gutartig, keine erhöhte Mortalität
- Sekundäre Hypotonie: abhängig von der Grunderkrankung
- Orthostatische Dysregulation: gute Prognose bei adäquater Therapie
10. Prävention
- Regelmäßige Bewegung und Kreislauftraining
- Genügend Flüssigkeitszufuhr
- Vermeidung von Alkohol und Überhitzung
- Anpassung der Medikation bei Risikopatienten (z. B. Diuretika)
11. Zusammenfassung
| Punkt | Kernaussage |
|---|---|
| Hypotonie | Blutdruck unter 100/60 mmHg |
| Bedeutung | Häufig harmlos (primär), kann aber symptomatisch und Ursache ernster Grunderkrankungen sein (sekundär) |
| Typische Symptome | Schwindel, Schwäche, Müdigkeit, Synkope |
| Diagnostik | Blutdruckmessung, Lagewechseltest (Schellongtest), Ursachenabklärung |
| Therapie | Flüssigkeit, Salz, Bewegung, ggf. Medikamente |
| Prognose | Günstig bei primärer Form, ernst bei sekundären Ursachen |
12. Literaturhinweise
- Deutsche Hochdruckliga e. V. – Leitlinien zur Blutdruckregulation (aktuelle Ausgabe)
- Herold, Innere Medizin, 2024
- Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zur orthostatischen Hypotonie
- Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 268. Auflage
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